7/38 Rede Sachsen-Anhalt als Wirtschaftsstandort der erneuerbaren Energien sichern

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26.09.19 –

Sachsen-Anhalt als Wirtschaftsstandort der erneuerbaren Energien sichern

Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 7/4957


Der Abg. Herr Meister ist bereits auf dem Sprung. Das finde ich sehr gut und er bekommt sofort das Wort.


Olaf Meister (GRÜNE):

Danke schön, Herr Präsident. - Sehr geehrte Damen und Herren! Wir fahren letztlich thematisch fort und schließen an. Zur Erreichung unserer Klimaschutzziele und zu dem Kompromiss in der Kohlekommission gehört der Ausbau der erneuerbaren Energien auf einen Anteil von mindestens 65 % bis 2030. Derzeit liegen wir bei 37,8 % - auch keine ganz unerhebliche Zahl, aber noch nicht ausreichend.

Beim erfolgreichen Ausbau der erneuerbaren Energien hat Sachsen-Anhalt bisher eine erfreuliche Spitzenstellung in Deutschland. Mit sauberem Strom wurde gutes Geld verdient und wurden Arbeitsplätze in Sachsen-Anhalt geschaffen.

(Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜNE)

Der verantwortungsvolle Ausbau der Windkraft in Deutschland wie in Sachsen-Anhalt gehört zum Kern der Energiewende. Ohne Windkraft, ohne Solarenergie, sei es nun thermisch oder fotovoltaisch, ohne Offshore-Windkraft sind nach heutigem Stand der Technik die Klimaziele nicht zu erreichen. Die Windenergie ist schon heute das Rückgrat der zukünftigen Energieversorgung.

(Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜNE)

Auch ganz unabhängig von der Einstellung gegenüber dem menschengemachten Klimawandel - Herrn Farle und Herrn Poggenburg habe ich auch so verstanden, das ist mehr eine Erdscheibentheorie - und auch dahingestellt die Frage, wie man zur erneuerbaren Energie steht, sollte jeder an der Wirtschaftspolitik unseres Landes Interessierte zumindest doch anerkennen, dass die Branche der erneuerbaren Energien und insbesondere die Windindustrie ein bedeutender Arbeitgeber und Industriezweig in Sachsen-Anhalt ist. Dem gilt unsere Sorge bei der notwendigen Energiewende natürlich auch.

(Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜNE, und von Cornelia Lüddemann, GRÜNE)

Die im Verhältnis insbesondere zu Standorten im Westen Deutschlands schwierige Struktur unserer Wirtschaft, die wir mit dem geschichtlich bedingten Ende der traditionsreichen industriellen Kerne geerbt haben und an der wir leiden, lässt sich nur mit langem Atem ändern. Gerade die sich ergebenden Änderungen in der Wirtschaft, die Neuanfänge und neuen Technologien bilden für unseren Wirtschaftsstandort die Möglichkeit, wieder eigene Stärke und Profil zu gewinnen und wirtschaftlich den Anschluss zu finden.

So sind für uns die anstehenden Umwälzungen unter anderem im Energiesektor zwar natürlich auch Herausforderungen, aber vor allem doch auch Chancen, die es im Interesse unseres Landes zu nutzen gilt. Allerdings sieht es momentan nicht so aus, als ob Deutschland im Allgemeinen und speziell Sachsen-Anhalt diese Chance auch tatsächlich nutzt.

In Sachsen-Anhalt wurden im ersten Halbjahr 2019 lediglich acht neue Windenergieanlagen errichtet, in ganz Deutschland waren es 81. Dieses ist ein Minus von fast 90 % gegenüber dem Halbjahresdurchschnitt vorangegangener Jahre und damit die niedrigste Neubaurate seit dem Jahr 2000 und das bislang schwächste Halbjahr des Windenergieausbaus in diesem Jahrtausend.

Zwischen 2016 und 2018 war die Zahl der zugebauten Windräder in Sachsen-Anhalt schon von 116 auf nur noch elf gesunken. Ein Ende dieses Abfalls ist nicht absehbar. Was das wirtschaftlich bedeutet, wird klar, wenn man weiß, dass allein Enercon, unser regionaler Anbieter, in Magdeburg am Tag drei neue Windräder bauen könnte. Von dieser Flaute sind insbesondere auch die Hersteller und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Windkraftanlagen im Land negativ betroffen.

Erste Firmenschließungen, Entlassungen erfolgten leider bereits. Die Mechanische Werkstätten Anhalt GmbH, MWA, Zulieferer für die Windenergiebranche; die WEC Turmbau GmbH im Jahr 2018, die Enercon Tochter Rotorblattfertigung Magdeburg im Jahr 2018; erst gestern die Nachricht von der Schließung des Turmbauers für Windkraftanlagen Ambau in Gräfenhainichen mit 150 Beschäftigten.

Bei Enercon in Magdeburg, Sachsen-Anhalts größtem industriellen Arbeitgeber, arbeiten zu besten Zeiten 5 000 Menschen. Das ist dieser „grüne Irrsinn“, von dem Sie sprechen, also 5 000 Leute allein in unserer Stadt. Heute sind es noch 4 000, die Tendenz ist aber sinkend.

Die Gesamtbranche Windenergie beschäftigte 2016 in Deutschland 160 000 Menschen, bis 2018 gingen davon schon 26 000 Arbeitsplätze verloren. Für 2019 lässt sich die Zahl an abgebauten Arbeitsplätzen leider fortschreiben. Zum Vergleich: Beim Braunkohleausstieg reden wir bundesweit von ca. 20 000 Arbeitsplätzen. Wir wissen, wie umfangreich die Diskussionen dazu waren.

Die Windenergiebranche prognostiziert für 2019 einen Markteinbruch um 90 %. Da machen wir uns mal nichts vor, das ist keine Schwankung in der Marktlage, das ist letztlich politisch verursacht.

Enercon im Magdeburg arbeitet derzeit zu 90 % für den Export. Der trägt das noch - so weit, so gut. Schon jetzt ist aber zu sehen, dass die Produktionskapazitäten, der Einkauf bei Zulieferern bis hin zu Forschung und Entwicklung auch ins Ausland gehen - so weit, so schlecht. Die immer schon zunehmend exportorientierte Windbranche hat früher vom Heimatmarkt und seinem Innovationspotenzial profitiert.

Der nun stockende Ausbau verspielt hingegen gerade einen industriellen Wettbewerbsvorteil. Ich bin nicht in Sorge um die weltweite Nutzung von Windenergie. Elektroenergie wird gebraucht, ihre klimafreundliche, von fossilen Energieträgern unabhängige Erzeugung wird sich durchsetzen. Windenergie ist da ein wesentlicher Teil. Bisher aber war es die Idee, dass wir in Sachsen-Anhalt ganz vorne mit dabei sind.

(Cornelia Lüddemann, GRÜNE: Genau!)

Das steht aber nicht in Stein gemeißelt. Diesen kompletten Einbruch des heimischen Marktes, trotz des Erfordernisses des Energiewandels, überstehen auch die Großen der Branche nicht lange. Es werden in Zukunft schon noch Windenergieanlagen hergestellt, nur dann nicht mehr in Deutschland und vor allem nicht mehr in Sachsen-Anhalt.

Um dieser Entwicklung entschlossen entgegenzuwirken und den Klimaschutz durch die Energiewende kraftvoller voranzutreiben, muss die Wirtschaftspolitik im Land ihr Engagement intensivieren. Windräder erzeugen mit jeder Umdrehung saubere Energie und sichern Arbeitsplätze in Sachsen-Anhalt. Um die Energiewende wieder in Schwung zu bringen, muss analog zur Erarbeitung des beim Windgipfel im Bundeswirtschaftsministerium erklärten Maßnahmenpakets ein Aktionsplan im Land umgesetzt werden. Die Windkraft ist im vitalen Interesse unseres Landes.

Die Aufgaben wurden hierzu im gemeinsamen Positionspapier der führenden Verbände des Klima-, Natur- und Artenschutzes sowie der Windbranche und der Energiewirtschaft von September 2019 aufgelistet. Vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft, über Greenpeace und die Deutsche Umwelthilfe bis zum Verband der Kommunalen Unternehmen sind sich die Verfasser über die Zielstellung und die nötigen Schritte einig, um einen Ausbau der Windenergie, der natur- und landschaftsverträglich, zugleich aber auch energiewirtschaftlich und klimapolitisch ausreichend sein muss, zu ermöglichen.

Da stellt man fest, dass Umwelt- und Wirtschaftsverbände zusammenarbeiten. Man fragt sich: Wieso ist das so? - Wir wissen, dass es bei Windkraft einen Zielkonflikt gibt - das erleben wir oft vor Ort  , und trotzdem ist allen Beteiligten klar, dass Klimaschutz und damit auch Umweltschutz ohne die Windkraft nicht funktionieren wird.

Wir müssen die für unsere Energieversorgung erforderlichen Flächen letztlich auch zur Verfügung stellen. Dazu gehört es, den Pool an ausgewiesenen Windenergieflächen zu erhöhen und Genehmigungsverfahren zielgerichtet zu bearbeiten. Wir nutzen 1 % der Fläche. Wir werden letztlich wohl bei 2 % landen müssen.

Mit Repowering, dem Ersatz alter Anlagen durch neue und leistungsstärkere Windkraftwerke, kann die Energieproduktion in den bestehenden Windvorranggebieten erhöht werden. Sowohl im Hinblick auf die Raumplanung als auch auf die Auswirkung auf Natur und Landschaftsbild ist durch die bestehenden Windenergieanlagen bereits eine Vorprägung erfolgt. Das Repowering darf planerisch nicht unnötig erschwert werden.

Entscheidend für einen positiven Ausbaupfad der Windenergie ist die Flächenverfügbarkeit. Ein Knackpunkt dabei ist die pauschale Abstandsregelung, wie sie neuerdings auch auf Bundesebene vorgesehen wird. Ich meine, unsere rechtlichen Regelungen, die regionale Landesplanung sowie die ortsbezogene Abwägung mithilfe der bestehenden Vorgaben im Genehmigungsprozess - das BImSchG, die TA Lärm und das Rücksichtnahmegebot - sind in umfassender Weise geeignet, den Gesundheitsschutz der Anwohner zu gewährleisten und zu vermeiden, dass die Windparks den Menschen zu nah auf die Pelle rücken.

Für Unternehmen, aber auch für Behörden sind einheitliche klare, praktikable Vorgaben zum Umgang mit den komplexen artenschutzrechtlichen Vorgaben zum gesetzlichen Vollzug nötig. Diese sind in aller nötigen Strenge zum Schutz der Natur zu nutzen, aber mit dem Ansatz, die naturschutzrechtlichen Vorgaben zu standardisieren. Wir brauchen ein Online-Artenschutzportal, das alle notwendigen qualitätsgesicherten Rohdaten zum Vorkommen und Bestand geschützter Arten systematisch erfasst und verfügbar macht.

Neben genehmigungsrechtlichen und naturschutzfachlichen Herausforderungen geht es bei Windenergieanlagen ganz maßgeblich aber auch um Akzeptanz. Eine einheitliche und regelmäßige finanzielle Beteiligung von Standort- und Anrainerkommunen an neu errichteten Windrädern sollte eingeführt werden.

(Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜNE, und von Cornelia Lüddemann, GRÜNE)

Auch Transparenz erhöht die Akzeptanz. Eine Servicestelle auf Landesebene sollte dafür neutrale Informationen bereitstellen und bei Bedarf die Kommunen sowie die Vorhabenträger unterstützen, professionelle und zielführende Beteiligungs- und Dialogformate durchzuführen. Eine Anbindung dieser an einen institutionalisierten Dialog zwischen Bund, Ländern und Gemeinden zur Flächenbereitstellung wäre angebracht.

Wind als Rückgrat der Energiewende kann in Sachsen-Anhalt auch das Rückgrat des Kohleausstiegs werden. Neben dem Bau neuer Windkraftanlagen sind daran angekoppelte Wasserstofferzeugung und regionale Speicher möglich und können Wertschöpfung und Arbeitsplätze vor Ort erhalten.

Wenn man sich das Beispiel Enercon anguckt, - ich habe vorhin darauf Bezug genommen  : Die bauen bereits E-Ladestationen; das gehört mit zum Konzern dazu. Die wollen sich zum Systemanbieter weiterentwickeln. Da geht es um bedarfsgerechte Stromerzeugung, Speichersysteme, Vermarktungskonzepte, Technologiebausteine für die Versorgung von Industriestandorten und mehr. Das sind Sachen, die wir aus Sachsen-Anhalt heraus nach vorne bringen können.

(Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜNE, und von Cornelia Lüddemann, GRÜNE)

Ausgehend von erneuerbaren Energien lässt sich industriell und wirtschaftlich einiges entwickeln. Die Unternehmen der Branche brauchen aber dafür eine verlässliche politische Rahmensetzung. Ebenso brauchen aber auch wir für die energiepolitischen Ziele zur Kohlereduktion und zum Erhalt der Versorgungssicherheit in Deutschland das Engagement der Branche. Für Sachsen-Anhalt ist die Branche darüber hinaus ein Kern unseres wirtschaftlichen Potenzials.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Kategorie

Reden | Wirtschaft