Olaf Meister putzt seinen Paten-Stolperstein Leopold Deutsch

PUTZAKTION

09.11.23 –

Am 09. November erinnern die Stolpersteine an die jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger die durch die Nazis verfolgt, ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben wurden. Am 17. September 2017 wurde der Stolperstein von Leopold Deutsch in der Faberstraße 12 in Fermersleben verlegt. Der Stolperstein wurde von Anja Naumann, Mitglied des Evangelischen Kirchenrates  der Martin-Gallus-Gemeinde, Magdeburg-Fermersleben gespendet.

Olaf Meister hat die Patenschaften für diesen Stolperstein übernommen. Anlässlich des Gedenktages 09. November hat er den Stolperstein geputzt und an das Schicksal von Leopold Deutsch erinnert.

Gegen das Vergessen - Erinnerungsblatt Leopold Deutsch

Leopold Deutsch wurde geboren am 27. Oktober 1875 in Wien, Eisendreher, wohnhaft in Magdeburg,  Faberstraße 12, wird verhaftet und spätestens ab 1943 im Gestapo „Arbeitserziehungslager-Lager 21“´ als Zwangsarbeiter eingesetzt, wo er  am 12.5.1943 an „Herzschwäche“ stirbt.

Leopold Deutsch wurde 1875 in Wien geboren. Unbekannt sind bis jetzt die Namen seiner Eltern.  Es  ist überhaupt nichts bekannt über seine Herkunftsfamilie und seine Kindheit und Jugend. Auch wissen  wir nicht, ob sie jüdischer Religion waren. Er selbst gibt bei seiner Hochzeit an, er sei evangelisch.   Die Nazis waren es, die ihn per „Ariernachweis“ wieder zum Juden erklärten, weil  alle seine Großel- tern jüdisch waren. Das erste Dokument zu ihm ist der Heiratseintrag aus dem Jahr 1904. Daraus geht  hervor, dass er den Beruf eines Eisendrehers erlernt hat. Im thüringischen Mühlhausen heiratet er am  31. Dezember 1904 Johanne Catharine Emma Otto, Tochter des Tischlers Heinrich Otto und seiner  Ehefrau Wilhelmine geb. Eisenhart. Ob es auch eine kirchliche Trauung gibt, ist nicht klar, aber als die  Tochter Luise Amalie Charlotte am 2. Oktober 1909 in Mühlhausen geboren wird, gibt es eine Taufe,  am 17. Oktober 1909 in der St.-Petri-Kirche zu Mühlhausen.

Ein weiter Weg ist es von Wien nach Mühlhausen in Thüringen. Und ein auch nicht ganz naher von  Mühlhausen bis nach Magdeburg. Bis jetzt ist über die Gründe dieser Wanderungen nichts bekannt.  Natürlich aber weiß der Dreher Leopold Deutsch, dass es in der Industriestadt Magdeburg für Leute  wie ihn gut Arbeit gibt. So landet die kleine Familie im Jahr 1912 in Magdeburg-Fermersleben, kurz  nachdem dieser kleine Vorort eingemeindet und ein Stadtteil Magdeburgs geworden ist (1910). Sie  zieht in das Haus Faberstraße 12 und dort wird sie auch bis 1942/43 wohnen. Arbeit findetLeopold  Deutsch in der Maschinenfabrik Buckau, die sich 1928 mit der R. Wolf AG zur Maschinenfabrik Buckau  R. Wolf AG zusammenschließt (zu DDR-Zeiten  VEB Schwermaschinenbau „Georgi Dimitroff“). Leo- pold Deutsch nimmt dort am 29. August 1912 die Arbeit auf und bleibt dort bis zu seiner Verhaftung  im Jahr 1942 oder 1943.  Er arbeitet als Dreher wie viele andere in der „Alten Bude“. Sie wird auch  „Rote Bude“ genannt, weil dort sehr viele Arbeiter Sozialdemokraten sind, vielleicht auch Leopold  Deutsch – so sagt es wenigstens eine Dokumentation des VVN (Verein Verfolgter des Naziregimes),  die allerdings annimmt, er sei im Rathaus tätig gewesen.

Seit 1912 leben die Deutschs in Magdeburg, erleben den Ersten Weltkrieg mit (unbekannt ist, ob Le- opold, der zu dieser Zeit schon 39 Jahre alt ist, eingezogen wird und in den Krieg muss, aber vermut- lich doch, denn 1917 bis 1919 lässt seine Frau nur den Namen „Emma Deutsch“ in das Magdeburger  Adressbuch eintragen), die Nachkriegszeit und die wirtschaftlichen Nöte. Ihre Tochter wächst heran  und freundet sich mit einem Lebenskameraden an, zu dem sie schließlich zieht, dem Arbeiter Hermann  Willy Henkel aus der Jakobstr. 16 (zeitweise vom-Rath-Straße), wo auch ihre Tochter geboren wird,  Renate Charlotte, am 24. Oktober 1939. Und es kann natürlich auch sein, dass auch Emma Deutsch  einer Berufstätigkeit nachgeht, auch wenn dazu nichts bekannt ist. Leider war bisher auch nicht zu  erfahren, ob es engere Kontakte zur Kirchengemeinde gibt, der sie angehören. Vielleicht eher nicht,  denn für einen sozialdemokratisch gesinnten Arbeiter, der dazu noch vielleicht wegen seiner jüdi- schen Wurzeln Schwierigkeiten hat, ist die nationalsozialistisch geprägte Haltung des zuständigen  Gemeindepfarrers gewiss nicht sehr einladend gewesen. Aber wichtig ist ihm gewiss, dass seine  Frau Emma ihm die Treue hält. Noch auf der Karteikarte zu seinem Tod wird sie als nächste Angehö- rige verzeichnet.

Die Arbeiter in der „Alten Bude“ stehen sehr kritisch zu Hitlers Nazideutschland. Das führt dazu, dass  sich dort nach 1933 eine größere Gruppe zu tätigem Widerstand entschließt, auch Leopold Deutsch.  Es sind keine großen Dinge, aber dennoch stets gefährlich. Es geht, wie Beatrix Herlemann in ihrem  Buch über den sozialdemokratischen Widerstand schreibt, um die Verbreitung von Flugschriften, il- legalen Zeitungen, um Diskussionen zur aktuellen Situation und manches andere mehr. Ob Leopold Deutsch bewusst ist, dass so etwas für ihn mit seinen jüdischen Wurzeln besonders gefährlich werden  könnte? Als der Krieg beginnt und die ersten Kriegsgefangenen im Werk beschäftigt werden, geht es  den etwa 40 Männern der sehr lose agierenden „Gruppe“, zu der ehemalige SPD-, KPD-Leute und Par teilose gehören, vor allem um das Abhören „feindlicher“ Sender und das Austauschen von Nachrichten  daraus sowie um die Hilfe für diese Gefangenen, Brot und Zigaretten vielleicht oder die Besorgung  von Post und anderem.

Lange scheint keiner diese Aktionen zu ahnden, aber im Januar 1943 soll eine  Liste mit 45 Namen an die Gestapo gegangen sein, auf der wohl auch der Name Leopold Deutsch  steht. Er wenigstens wird schnell festgenommen und in ein Zwangsarbeitslager transportiert, in das  „Arbeitserziehungslager“/ Lager 21 in  Watenstedt-Hallendorf bei Salzgitter. Dies Lager, in das man  auch ohne Gerichtsverfahren kommen konnte, ist ein Straflagerzur Abschreckung und Disziplinierung  „für Arbeitsbummler und renitente Elemente“. Gemeint sind Leute, die  feindliche Rundfunksender  hören, Witze über den NS-Staat erzählen oder Kontakt aufnehmen zu Ausländern, also besonders  für politische Häftlinge. Bei vielen von ihnen wurde die  - meist tödlich ausgehende -  „Sonderbehandlung“ angewandt. So verwundert es nicht, dass der 68-Jährige Leopold Deutsch nur kurze Zeit  durchhält. Am 12. Mai 1943 stirbt er an „Herzschwäche“ und wird drei Tage später auf dem dortigen  Friedhof bestattet, dem heutigen „Ehrenfriedhof Westerholz“.

Leider ist völlig unbekannt, was aus seiner Familie wird. Das Haus Faberstraße 12 hat den Krieg  überdauert, aber im ersten Adressbuch Magdeburgs nach 1945 (1953) findetsich der Name Emma  Deutsch nicht mehr.

Die  Betriebszeitung  des  Dimitroffwerkes  schreibt  1968:  „In  den  Jahren  des  faschistischen  Terrors  wuchs der Widerstand gegen das Unrechtsregime. 25 unserer Widerstandskämpfer wurden verhaftet.  16 von ihnen erlebten den Tag der Befreiung nicht mehr. Das war die Widerstandsgruppe im GDW  (früher Maschinenfabrik Buckau R. Wolf): …“  An achter Stelle findetsich der Name Leopold Deutsch,  Dreher. Auf dem Ehrenhain auf dem Magdeburger Westfriedhof befindetsich auch ein symbolischer  Grabstein mit seinem Namen. Leider aber sind genauere Kenntnisse zu diesem Menschen und zu  seinem Leben und Schicksal sowie zu seiner Familie zu DDR-Zeiten nicht festgehalten worden. So ist  es wichtig, dass sich jetzt aus der Evangelischen Martin-Gallus-Gemeinde Magdeburg-Fermersleben  jemand bereitfand, den Stolperstein im Gedenken an dies Gemeindeglied zu finanzieren.

Offizielles Infoblatte (Stand: 2017)

Quellen: Beatrix Herlemann, „Wir sind geblieben, was wir immer waren, Sozialdemokraten‘, Das Widerstandsverhalten der SPD im Parteibezirk Magdeburg-Anhalt gegen den Nationalsozialismus 1930 - 1945“, Mitteldeutscher Verlag, S.277ff.; Stadtarchive Magdeburg, Mühlhausen, Wien; Antje Herfurth und Christina Ulrich, Landesarchiv und Archiv des Standesamtes Magdeburg, Elke Zacharias, Gedenk- und Dokumentationsstätte KZ Drütte/ Arbeitskreis Stadtgeschichte e.V.; Alyn Beßmann KZ-Gedenkstätte Neuengamme; Gedenkstätte Salzgitter; Dr. Joseph Klement, Nationalfonds der Republik  Österreich für Opfer des Nationalsozialismus; Bundesarchiv Berlin; Gedenkbuch; Archiv der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen; Niedersäch- sisches Landesarchiv Wolfenbüttel; Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel; Recherchen OKR i.R. Wilhelm Bischoff und der Arbeitsgruppe „Stolpersteine für
Magdeburg“; Gedenkstätte Yad Vashem,, Jerusalem und diverse Internetrecherche.

 

 

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