KA 8/1306 Affenhirnforschung in Sachsen-Anhalt

KLEINE ANFRAGE

25.05.23 –

Sehr geehrter Herr Präsident,

mit Schreiben vom 20. April 2023 übersandte ich Ihnen die - vom Ministerium für Wirtschaft, Tourismus, Landwirtschaft und Forsten erstellte - Antwort der Landesregierung auf die o. g. Kleine Anfrage in einer zur Veröffentlichung und einer nicht zur Veröffentlichung vorgesehenen Fassung. Zwischenzeitlich hat das betroffene Institut gegenüber dem Ministerium für Wirtschaft, Tourismus, Landwirtschaft und Forsten sein Einverständnis erklärt, die Antworten zu den Fragen 1 bis 3 zu veröffentlichen. Daher erfolgt eine erneute Übersendung der Antwort auf die o.g. Kleine Anfrage mit der Bitte um Veröffentlichung. Diese entspricht der bisherigen nicht zur Veröffentlichung vorgesehenen Fassung.

Mit freundlichen Grüßen
Sven Schulze

Vorbemerkung des Fragestellers/der Fragestellerin:

Affen erfahren oftmals schwerstes Leid in der Affenhirnforschung. Dies zeigte ein Bericht der ZDF-Sendung „frontal“ vom 25. Oktober 2022 über die Affenhirnforschung des Tübinger Max-Planck-Instituts für Biologische Kybernetik. Es ist deswegen von Interesse, in welcher Art und Weise Affenhirnforschung auch an den Forschungsinstitutionen in Sachsen-Anhalt durchgeführt wird.

Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Wirtschaft, Tourismus, Landwirtschaft und Forsten:

Frage 1: Wie viele Projekte mit jeweils wie vielen Affen werden derzeit an den Forschungsinstituten in Sachsen-Anhalt durchgeführt beziehungsweise wie viele wurden genehmigt? Bitte für jedes Institut einzeln angeben.

Antwort zu Frage 1:
In Sachsen-Anhalt betreibt das Leibniz-Institut für Neurobiologie Magdeburg Forschung an nicht-humanen Primaten. Derzeit werden in diesem Institut zwei genehmigte Tierversuchsvorhaben unter Verwendung nicht-humaner Primaten durchgeführt. In beiden Verfahren wurde die Verwendung von jeweils maximal 16 nicht-humanen Primaten genehmigt, inklusive Reservetiere.

Frage 2: Wie viele Affen werden in den betreffenden Instituten derzeit gehalten? Wie viele wurden seit 2019 getötet? Bitte für jedes Institut einzeln und aufgeschlüsselt in die einzelnen Jahre angeben.

Antwort zu Frage 2:
Derzeit werden in der Einrichtung sechs Javaneraffen (Macaca fascicularis) und neun Rhesusaffen (Macaca mulatta) gehalten. In den Jahren 2019 bis 2021 wurde kein nicht humaner Primat im Rahmen genehmigter Versuchsvorhaben oder aus Tierschutzgründen getötet. Im Jahr 2022 wurden vier Tiere getötet. Drei dieser Tiere wurden - wie im genehmigten Versuchsvorhaben vorgesehen - einem die jeweilige Versuchsreihe abschließenden Finalversuch zugeführt. Ein Tier musste aus gesundheitlichen Gründen, aufgrund einer versuchsunabhängigen endokrinologischen Erkrankung, vorzeitig eingeschläfert werden. Die vier im Jahr 2022 getöteten Tiere werden gemäß § 1 Versuchstiermeldeverordnung bis zum 31. März dieses Jahres gemeldet und erscheinen dann folglich in den landesspezifischen Statistiken.

Frage 3: Bis wann wurde jeweils für die einzelnen Projektanträge im Bereich der Affenhirnforschung die Genehmigung erteilt? Wann steht jeweils ein Neuantrag an?

Antwort zu Frage 3:
Die Genehmigung für eines dieser Projekte erfolgte im Jahr 2018 zunächst für drei Jahre und wurde auf Antrag zweimal um jeweils ein Jahr verlängert. Diese Genehmigung läuft Ende März 2023 aus. Die Genehmigung für das andere Projekt wurde im Jahr 2020 ebenfalls zunächst für drei Jahre erteilt. Ein Antrag auf Verlängerung des Versuchsvorhabens wird erwartet, da die Genehmigung bis August 2023 befristet ist. Aktuell liegt dem Landesverwaltungsamt ein Neuantrag auf Genehmigung eines Tierversuchsvorhabens unter Verwendung von nicht-humanen Primaten vor, in welchem die Fortführung der Forschungsvorhaben des Ende März 2023 auslaufenden Versuchsvorhabens beabsichtigt ist. Da die Genehmigung von Tierversuchsvorhaben gemäß § 33 Absatz 2 Tierschutz-Versuchstierverordnung auf maximal fünf Jahre zu befristen sind, ist ein Neuantrag spätestens nach dieser Zeit erforderlich, sofern die wissenschaftliche Fragestellung weiterhin verfolgt werden soll.

Frage 4: In welchen Schweregrad hat die Genehmigungsbehörde jeweils die Projekte eingestuft? Mit welcher Begründung und auf Basis welcher Fakten erfolgte diese Schweregradeinstufung?

Antwort zu Frage 4:
Beide vom Landesverwaltungsamt aktuell genehmigten Versuchsvorhaben wurden prospektiv in den mittleren Schweregrad eingestuft. Diese Einstufung des Schweregrades der beantragten Eingriffe und Behandlungen wurde gemäß Artikel 15 Absatz 1 Richtlinie 2010/63/EU in Verbindung mit Anhang VIII der Richtlinie vorgenommen. Dabei wurden der entsprechende Vortrag der jeweiligen Antragsteller, die Einschätzung der jeweiligen Tierschutzbeauftragten im Rahmen ihrer Stellungnahme nach § 5 Absatz 4 Satz 2 Nummer 1 Tierschutz-Versuchstierverordnung sowie die Stellungnahme der Kommission nach § 15 Absatz 1 Satz 2 Tierschutzgesetz berücksichtigt. Ein Gutachten des Deutschen Primatenzentrums, welches im Genehmigungsprozess 2017 von der Genehmigungsbehörde zu dem im Jahr 2018 genehmigten Versuchsvorhaben eingeholt wurde, stützte diese Einschätzung. Eine rückblickende Bewertung der in Sachsen-Anhalt in der Vergangenheit durchgeführten Tierversuchsvorhaben, in welchen nicht-humane Primaten verwendet wurden, liegt aktuell noch nicht vor, da das vor den zwei laufenden Versuchsvorhaben genehmigte Tierversuchsvorhaben bereits im Jahr 2012 und somit vor der Umsetzung der Richtlinie 2010/63/EU in nationales Recht 2013 genehmigt wurde. Durch die Einrichtung wurde für jeden der bislang verwendeten nicht-humanen Primaten der maximal mittlere Belastungsgrad in der Versuchstiermeldung angegeben.

Frage 5: Hält die Landesregierung die Versuche im Bereich der Affenhirnforschung im Rahmen der erforderlichen Schaden-Nutzen-Analyse für genehmigungsfähig? Wenn ja, mit welcher Begründung? Bitte Schaden (Bewertung des Leids) und Nutzen (konkrete klinische Anwendung, therapeutischer Nutzen, etc.) für jedes Projekt jeweils benennen.

Antwort zu Frage 5:
Eine pauschale Beantwortung der Frage ist nicht möglich, da das Tierschutzgesetz und die Tierschutz-Versuchstierverordnung eine Einzelfallbetrachtung jedes Antrages vorsehen. Dafür sind in jedem Einzelfall durch die Genehmigungsbehörde nicht nur die Unerlässlichkeit des Versuchsvorhabens nach dem Stand wissenschaftlichen Erkenntnisse zu prüfen, sondern auch die strikte Ausrichtung des Versuchsvorhabens am Prinzip der Vermeidung, Verminderung und Verbesserung. Die Schaden-Nutzen-Abwägung, die das europäische Recht vorsieht, ist Teil der Prüfung, ob das konkret beantragte Tierversuchsvorhaben ethisch vertretbar ist. Eine Genehmigung ist zu erteilen, wenn die rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind.

Frage 6: Werden alle toten Affen einer veterinärpathologischen Untersuchung unterzogen? Wenn ja, welches Institut wird damit beauftragt? Wenn nein, warum werden diese Untersuchungen nicht durchgeführt?

Antwort zu Frage 6:
Für das erste genehmigte Versuchsvorhaben wurde festgelegt, dass von im Versuchsvorhaben geplant getöteten Affen ein Sektionsbericht zu erstellen ist. Verstirbt ein Tier oder wird ein Tier aus gesundheitlichen Gründen eingeschläfert, muss das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt unverzüglich darüber informiert werden. Das Landesverwaltungsamt ordnet dann gegebenenfalls die erforderlichen pathologischen Untersuchungen an. Im Rahmen dieses Versuchsvorhabens sind bis heute vier Tiere euthanasiert worden. Von allen Tieren wurde eine Sektion durchgeführt und ein Sektionsbericht angefertigt. Bei Auffälligkeiten erfolgte eine Probenahme der betreffenden Organe bzw. Organteile. Diese Proben wurden zur pathohistologischen Untersuchung an ein veterinärmedizinisches Untersuchungslabor (Laboklin, Bad Kissingen) eingesandt. Die Untersuchungsberichte wurden den Sektionsberichten beigelegt.

Für das zweite genehmigte Versuchsvorhaben wurde festgelegt, dass für jedes Tier, welches verstirbt oder aus Tierschutzgründen getötet werden muss, eine pathologischanatomische und histopathologische Untersuchung in einer geeigneten staatlichen oder staatlich getragenen oder universitären Einrichtung zu veranlassen ist.
Der daraus resultierende Sektionsbericht ist dem Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt unverzüglich nach Erhalt vorzulegen. In diesem Versuchsvorhaben sind bis zum jetzigen Zeitpunkt keine Tiere verstorben oder getötet worden. Sollten Affen versterben oder eingeschläfert werden, ist durch die Einrichtung eine Untersuchung am Landesamt für Verbraucherschutz, Fachbereich Veterinärmedizin, Stendal bzw. am Deutschen Primatenzentrum, Göttingen vorgesehen.

Frage 7: Werden die Ergebnisse dokumentiert? Zu welchen Ergebnissen kamen etwaige bisherige Sektionen?

Antwort zu Frage 7:
Die Beschau der Tierkörper ergab, mit Ausnahme von einer versuchsunabhängigen Bruchpforte im Inguinalbereich, keine Auffälligkeiten. Bei einem Tier, das auf Grund einer versuchsunabhängigen endokrinologischen Erkrankung euthanasiert wurde, konnten Schädel und Gehirn in Augenschein genommen werden. Hier fanden sich neben einer
Ausdünnung des vollständig verheilten Schädelknochens im Bereich eines früheren Operationsfeldes (Kammerimplantation) keine makroskopischen Auffälligkeiten an Schädel und Gehirn. Auch bei diesem Tier war die körperliche Beschau ohne besonderen Befund.

Frage 8: Hält die Landesregierung eine verbindliche Sektion aller toten Affen in einem unabhängigen, staatlichen Institut für sinnvoll? Bitte die Antwort begründen.

Antwort zu Frage 8:
Wie unter 6. bereits ausgeführt, ist jedes Tier einer tierärztlichen pathologischen Untersuchung zu unterziehen. Eine Untersuchung in einer geeigneten staatlichen oder staatlich getragenen oder universitären Einrichtung ist für das über Ende März 2023 hinauslaufende Versuchsvorhaben bereits vorgesehen. Auch für in Zukunft gegebenenfalls zu genehmigende Tierversuchsvorhaben ist eine solche Bestimmung geplant.

Frage 9: Teilt die Landesregierung die Meinung, dass angesichts des in der ZDF-Sendung „frontal“ dokumentierten schwersten Leids an Affen solche Versuche, sofern sie in der Form auch in Sachsen-Anhalt stattfinden, künftig als „schwerst“ kategorisiert werden sollten? Also das dies als „Verfahren, die voraussichtlich länger andauernde und nicht zu lindernde starke Schmerzen, schwere Leiden oder Ängste auslösen “ eingestuft wird und damit grundsätzlich nach der EU-Richtlinie nur in Ausnahmefällen und nach Genehmigung durch die EU erfolgen dürfen?

Antwort zu Frage 9:
Die nach Artikel 15 Absatz 1 der Richtlinie 2010/63/EU zu treffende Einstufung der den Tieren zuzufügenden Schmerzen, Leiden oder Schaden in Schweregrade ist eine Einzelfallentscheidung, in welcher nach Anhang VIII der Richtlinie jede Intervention oder Manipulation des Tieres im Rahmen eines bestimmten Verfahrens zu berücksichtigen ist. Da Deutschland von der Schutzklausel nach Artikel 55 Absatz 3 der Richtlinie Gebrauch gemacht hat, sei darauf hingewiesen, dass auch ein Verfahren, das bei den zu verwendenden nicht-humanen Primaten voraussichtlich starke Schmerzen, schwere Leiden oder Ängste verursacht, die voraussichtlich lang anhalten und nicht gelindert werden können (= besonders belastendes Verfahren), aufgrund der Regelung in § 25 Tierschutz-Versuchstierverordnung genehmigungsfähig sein kann, sofern die dort beschriebenen Voraussetzungen erfüllt sind. Die Einstufung basiert auf den schwerwiegendsten Auswirkungen, denen ein einzelnes Tier nach Anwendung aller geeigneten Verbesserungstechniken ausgesetzt sein dürfte. Bei der Zuordnung eines Verfahrens zu einer bestimmten Kategorie werden die Art des Verfahrens und eine Reihe weiterer Faktoren berücksichtigt. Alle diese Faktoren sind auf Einzelfallbasis zu prüfen. Aus diesem Grund ist eine pauschale Kategorisierung weder durch europäische noch nationale Rechtsvorschriften vorgesehen. Die Einzelfallbewertung in den zwei laufenden Versuchsvorhaben hat, wie unter 4. angegeben, ergeben, dass voraussichtlich der mittlere Belastungsgrad nicht überschritten wird.

Frage 10: Sieht die Landesregierung Handlungsbedarf hinsichtlich der Genehmigungspraxis bei Affenhirnversuchen (zum Beispiel das Erwägen, solche Versuchsanträge künftig abzulehnen, Erteilen von Auflagen etc.)? Bitte die Antwort begründen.

Antwort zu Frage 10:
§ 8 Tierschutzgesetz sieht vor, dass die Behörde eine Genehmigung erteilt, wenn die rechtlichen Voraussetzungen hierfür erfüllt sind (gebundene Entscheidung). Eine Entscheidung überdas Vorliegen dieser Voraussetzungen kann, wie bereits unter 4. und 9. ausgeführt, grundsätzlich nur auf Einzelfallbasis nach behördlicher Prüfung erfolgen. Die Genehmigungsbehörde kann Nebenbestimmungen gemäß § 36 Absatz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz in Verbindung mit § 1 Verwaltungsverfahrensgesetz Sachsen-Anhalt und § 8 Tierschutzgesetz in Verbindung mit § 33 Absatz 1 Tierschutz-Versuchstierverordnung beifügen. Von dieser Möglichkeit macht die Genehmigungsbehörde einzelfallbezogen Gebrauch.

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